Selbstbestimmt gebären? Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung einer frauzentrierten Geburtshilfe in der Steiermark

Im Rahmen eines interprofessionellen Dialogforums an der FH JOANNEUM in Graz wurden am 18. Juni zentrale Ergebnisse der breit angelegten Befragung „#Geburt – gut informiert & begleitet“ präsentiert.

Die Studie ist Teil des Projekts #Geburt – gut informiert & begleitet, das von der FH JOANNEUM in Kooperation mit dem Frauengesundheitszentrum im Auftrag des Gesundheitsfonds Steiermark und des Fachbeirats für gendergerechte Gesundheit durchgeführt wird. Befragt wurden 544 Frauen mit Kindern im Alter von 0–2 Jahren sowie 128 Hebammen und 50 Gynäkolog:innen aus der Steiermark. Die Erkenntnisse liefern wichtige Impulse für eine zukunftsorientierte Geburtshilfe – mit Fokus auf Gesundheitskompetenz, informierte Entscheidungsfindung und respektvolle Begleitung.

Die Ergebnisse zeigen: Frauen wünschen sich eine empathische, kontinuierliche und informierte Betreuung vor, während und nach der Geburt – stoßen aber in der Realität oft auf strukturelle Barrieren. Die Zufriedenheut mit der Betreuung unter der Geburt und das Vertrauen in das Fachpersonal ist hoch, doch nicht alle Bedürfnisse werden ausreichend erfüllt.

Selbstbestimmt gebären (Pressebild)

v.l.n.r.: Bianca Fuchs-Neuhold, Alexandra Haider, Christine Hirtl, Lisa Rücker und Sandra Marczik-Zettinig.
© © FH JOANNEUM / Manfred Terler

Selbstbestimmt gebären?

Zentrale Ergebnisse der Frauenbefragung im Überblick

  • Spontangeburt als Wunsch: 84 % der Frauen strebten eine vaginale Geburt an. Nur 4 % planten einen Kaiserschnitt ohne medizinische Indikation („Wunschkaiserschnitt“).
  • Hohe Zufriedenheit – mit Lücken: 80 % waren mit der Schwangerschaftsbetreuung „sehr zufrieden“ bzw „zufrieden“, 84 % mit der Betreuung unter der Geburt. Gleichzeitig fühlten sich Frauen bei wichtigen Informations- und Entscheidungsprozessen nicht ausreichend eingebunden. 25 % gaben an, während Schwangerschaft und Geburt wenig oder sehr wenig Entscheidungsfreiheit erlebt zu haben. 62 % wurden gefragt, wie stark sie einbezogen werden möchten, 68 % erhielten eine Erklärung zu den Vor- und Nachteilen unterschiedlicher Betreuungsformen.
  • Vertrauen in Fachpersonal: 82% berichteten, während der Geburt durchgehend Vertrauen in das betreuende Fachpersonal gehabt zu haben. 86 % gaben an, dass ihre Hebamme oder ihr*e Ärzt*in Informationen gut verständlich aufbereitete und 85 % fühlten sich in Entscheidungen respektiert.
  • Psychische Belastung & Unsicherheiten: Der Großteil der Frauen äußerte Ängste vor einer möglichen künftigen Geburt – am häufigsten aufgrund der Sorge, nicht die Art der Geburt erleben zu können, die sie sich wünschen.
  • Gesundheitskompetenz: 34 % der Frauen wiesen eine eingeschränkte Gesundheitskompetenz auf. Besonders schwierig war das Auffinden von Informationen zur psychischen Gesundheit (33 %).
  • Wunsch nach kontinuierlicher, empathischer Betreuung: Die Bedeutung einer vertrauten Begleitperson wurde in den offenen Antworten mehrfach betont. Auch Wünsche nach Stillvorbereitung, Bewegungsangeboten, Ernährungsberatung und psychosozialer Unterstützung wurden häufig genannt.

Fachpersonensurvey: Betreuungsideal versus Alltag

Auch aus Sicht des Fachpersonals braucht es Verbesserungen. Besonders deutlich wird der Wunsch nach einer 1:1-Betreuung unter der Geburt (keine zeitgleiche Betreuung von mehreren Frauen), die von Hebammen und Ärzt*innen als besonders wichtig eingeschätzt wird. Im Versorgungsalltag zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild:

  • Im Mittel können Hebammen nicht flächendenkend eine exklusive 1:1-Betreuung ermöglichen (Mittelwert: 3,15 auf einer einer 5-stufigen Ratingskala mit 1 = immer; 5 = nie)).
  • Eine kontinuierliche Betreuung von der Schwangerschaft bis ins Wochenbett wird zwar als zentral erachtet, ist aktuell bedingt realisierbar.

Eine respektvolle und informierte Begleitung wird von Fachpersonen angestrebt – aus Sicht vieler Frauen gibt es jedoch Lücken in der aktiven Einbindung in Entscheidungsprozesse und Aufklärung rund um die Geburt.

Stimmen aus dem Projekt

„Die Ergebnisse der Studie ,#Geburt – gut informiert & begleitet‘ zeigen, wie wichtig es ist, Frauen rund um Schwangerschaft und Geburt bestmöglich zu unterstützen. Jede Frau hat das Recht auf eine selbstbestimmte, sichere und respektvolle Geburt – unabhängig vom Wohnort. Unser Ziel ist es, die geburtshilfliche Versorgung in der Steiermark weiterzuentwickeln und dabei regionale Bedürfnisse ernst zu nehmen“, sagt Karlheinz Kornhäusl, Landesrat für  für Gesundheit, Pflege und Kultur.

„Für den Fachbeirat für gendergerechte Gesundheit war besonders wichtig, die Bedürfnisse und Erfahrungen der Gebärenden in den Mittelpunkt zu stellen. Es wird u.a. sichtbar, dass jede Geburt vom guten interdisziplinären Teamplay zwischen Mediziner*innen und Hebammen nur profitieren kann“, so Lisa Rücker, Vorsitzende des Fachbeirats für gendergerechte Gesundheit.

„Das Projekt zielt darauf ab, die Gesundheitskompetenz von Frauen und eine frauenzentrierte Geburtshilfe zu stärken. Die Ergebnisse sind nun die Basis für konkrete Maßnahmen, die bis Ende 2026 entwickelt werden“, sagt Sandra Marczik-Zettinig, Stv. Geschäftsführerin und Bereichsleiterin Public Health und Gesundheitsförderung im Gesundheitsfonds Steiermark.

„Frauen brauchen rund um Schwangerschaft und Geburt nicht nur medizinische Versorgung, sondern auch verständliche Informationen, Orientierung und das Gefühl, gesehen zu werden. Unsere Ergebnisse zeigen: Viele Mütter fühlen sich gut betreut – gleichzeitig bestehen deutliche Potentiale, wie verständlich, zugänglich und verlässlich Gesundheitsinformationen aufbereitet sind, wie orientierend das Gesundheitssystem wirkt und wie gut die Kommunikation zwischen Gesundheitsberufen und der Frauen gelingt. Genau hier setzen wir mit #Geburt – gut informiert & begleitet an. “, so Bianca Fuchs-Neuhold, Gesamtkoordinatorin und Projektleiterin der FH JOANNEUM.

„Die Ergebnisse sind eine gute Basis, um ins Gespräch zu kommen. Dies geschieht im Rahmen der zwei Dialogforen und in Arbeitsgruppen. Unser Anliegen als Frauengesundheitszentrum ist, dass die Perspektive der Frauen* während des Prozesses im Blick bleibt“ ergänzt Christine Hirtl, Projektleiterin des Frauengesundheitszentrums.

„Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen, wie entscheidend Versorgungssicherheit und interprofessionelle Zusammenarbeit für evidenzbasierte und selbstbestimmte Geburtshilfe sind. Hier am Institut Hebammenwissenschaften fördern wir somit gezielt fachliche Exzellenz und interpersonelle Kompetenzen – damit werdende Familien menschzentriert und fachlich fundiert begleitet werden können“, so Alexandra Haider, Leiterin des Instituts Hebammen an der FH JOANNEUM.

Hintergrund zum Projekt

Die Studie ist Teil des Projekts #Geburt – gut informiert & begleitet, das von der FH JOANNEUM gemeinsam mit dem Frauengesundheitszentrum Graz im Auftrag des Gesundheitsfonds Steiermark durchgeführt wird. Ziel ist es, die Gesundheitskompetenz von Frauen* zu fördern und eine frau*zentrierte Geburtshilfe in der Steiermark zu stärken. Die Ergebnisse wurden im Rahmen des heutigen Dialogforums präsentiert. Weitere Maßnahmen werden bis Ende 2026 in Arbeitsgruppen entwickelt.