Bildschirmpause erforderlich?
Woran erkennt man eine suchthafte Internetnutzung? Und warum sollten Eltern ihr Handy weglegen, wenn sie mit Kleinkindern spielen? Antworten von Suchtpräventions-Experten Benjamin Kircher von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention. Für einen gesunden Konsum von Online-Medieninhalten (soziale Medien, Pornografie, Gaming etc.) setzt sich auch die Kampagne #gesundonline ein. Steiermarkweit gibt es 95 Anlaufstellen in allen Bezirken, die Unterstützung bieten.
Rund 5,5 Stunden täglich nutzen Jugendliche in der Steiermark in der Freizeit digitale Geräte. Ein Drittel zeigt Anzeichen einer Suchtgefährdung und soziale Medien führen dabei am häufigsten zur suchthaften Nutzung.
Allerdings: „Nicht das Internet macht abhängig, sondern ein bestimmtes Verhalten“, erläutert Benjamin Kircher von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention. Kircher ist Sozialarbeiter, absolviert berufsbegleitend eine Ausbildung zum Psychotherapeuten und arbeitet im Schwerpunkt Medien/Computerspiele/Social Media. „Abhängig werden können wir von Dingen, die wir im Internet tun. Daher sprechen wir auch vom Suchtverhalten im Internet.“
Woran erkennt man suchthaftes Verhalten?
In Zeiten, in denen man sich noch über ein Modem in das Internet einwählte, gab es eine klare Trennung zwischen Online- und Offline-Zeit. In Zeiten von Smartphones und Co. gibt es diese Grenze nicht mehr. „Das per se ist aber nicht das Problem“, ist Kircher überzeugt. „Es ist heute einfach normal, dass man sich sowohl online als auch offline informiert, unterhaltet, Spiele spielt etc.“
Auch eine strenge „Zeitgrenze“, ab der ein suchthaftes Verhalten beginnt, lässt sich nicht definieren. „Entscheidend ist, ob ich andere Dinge vernachlässige wie Schlaf, Körperpflege, Essen, Treffen mit Freunden. Oder ob ich zunehmend Schwierigkeiten habe, dem Schulunterricht zu folgen oder meine Arbeit zu bewerkstelligen, weil ich die halbe Nacht am Handy war“, nennt Kircher Beispiele.
Ein weiterer Aspekt, der auf suchthaftes Verhalten hindeutet, ist der Kontrollverlust. „Ich will es nicht, weil ich weiß, dass es mir nicht guttut. Aber ich mache es trotzdem.“

Nur kurz aufs Handy schauen? Wenn Kleinkinder in der Nähe sind, heißt das für sie, dass das Handy in dem Moment wichtiger ist …
Credit: iStock/Pekic
Bildschirmpause – kein Handy neben Kleinkindern!
„Prävention beginnt schon mit der Geburt“, betont Kircher. „Kleinkinder unter drei Jahren benötigen keine digitalen Geräte. Auch als Elternteil sollte man nicht aufs Handy schauen, wenn man in Kontakt mit dem Kind ist. Für Kleinkinder heißt es nämlich, das Handy ist in dem Moment wichtiger als ich.“ Kinder haben dann das Gefühl, das Handy sei eine „Konkurrenz“ im Kampf um die Aufmerksamkeit der Eltern. Besonders in den ersten Lebensjahren ist Nähe und die Bindung zu den Eltern sehr wichtig für die körperliche, emotionale, geistige und sprachliche Entwicklung. In dieser Zeit lernt das Kind mit Gefühlen umzugehen und gute Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Fehlt das, kann es Kindern später beispielsweise oft schwerer fallen Freunde zu finden und sie sind auch anfälliger für psychische Erkrankungen
Ganz wichtig: Das Internet ist per se nicht gut oder schlecht. Es kann natürlich auch ein Tool sein, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Entscheidend ist immer, wie wir damit umgehen.
Lebenskompetenzen fördern
Die Angebote von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention richten sich an Menschen die mit Kindern und Jugendlichen leben oder arbeiten. Zudem fördert die Fachstelle mit speziellen Projekten direkt die Lebenskompetenzen von jungen Menschen von der Kindergrippe bis zur Matura.
„Da muss es gar nicht spezifisch um digitale Medien gehen“, erläutert Kircher. „Wenn ich das kritische Denken fördere, ganz allgemein, dann können Jugendliche diese Fähigkeit auch online einsetzen, hinterfragen Dinge eher und sind weniger anfällig auf die vielen psychologischen Tricks der App-Entwickler hereinzufallen.“, Und auch die Empathie ist ein zentraler Faktor. „Grundlegende soziale Fertigkeiten wie Empathie oder Beziehungsfähigkeit kann ich nicht über digitale Geräte erwerben, dazu brauche ich den direkten Kontakt mit anderen Menschen.“
Was können Eltern und Angehörige tun?
„Das Wichtigste für Eltern ist, für das Kind präsent zu sein und medienfreie Räume zu schaffen“, fasst Kircher zusammen und nennt Beispiele: gemeinsame Ausflüge, handyfreie Zeiten im Alltag (z. B. beim Essen), eine „Familienladestation“ (alle Familienmitglieder legen ihre Handys ab z. B. 19 Uhr am Abend in die Ladestation und da bleiben sie die Nacht über).
- Internetnutzung sollte auch nicht als Belohnung oder Strafe eingesetzt werden. „Dadurch bekommen Medien mehr Bedeutung, als sie eigentlich haben sollten.“
- „Es sollte ganz klare, altersadäquate Regeln für die Internet- und Handynutzung geben“, verweist Kircher auf den erforderlichen Rahmen.
- Erwachsenen, die bei Freunden einen übermäßigen Internetkonsum bemerken, empfiehlt er ein offenes und wertschätzendes Ansprechen. „Nicht missionieren, sondern wertschätzend und auf Augenhöhe.“ Beispiele wären „Ich finde es nicht sehr angenehm, wenn du dauernd aufs Handy schaust, wenn wir uns treffen“ oder von eigenen Erfahrungen zu berichten, etwa dass man das Handy am Abend auf Flugmodus schaltet und das hilft, ruhiger zu schlafen. Oder dass es sehr gut getan hat, mal ein Wochenende ohne Handy zu verbringen.
Auch die Gesellschaft hat Verantwortung
Für Kircher greift es zu kurz, wenn „nur“ bei den Kindern und Eltern angesetzt wird. „Wir müssen auch Unternehmen und Politik in die Verantwortung nehmen“, ist er überzeugt. „Es braucht besseren Konsumentenschutz, vor allem für Jugendliche. Es kann nicht sein, dass Unternehmen mit allen psychologischen Tricks arbeiten dürfen, um die Nutzungsdauern für ihre Apps und Plattformen ins Unermessliche zu erhöhen.“
Unterstützung holen – Online-Info & Kontakt in allen Bezirken
Wenn man als Eltern oder Angehörige, aber auch als Betroffene*r selbst das Gefühl hat, der Internetkonsum nimmt einen zu großen Raum im Alltag ein, kann man sich Unterstützung holen. Je früher, desto besser.
- Alle steirischen Suchtberatungsstellen stehen kostenlos als Ansprechpartner zur Verfügung, speziell für die Prävention VIVID – Fachstelle für Suchtprävention.
- Hilfreiche Infos zum gesunden Umgang mit dem Internet im Allgemeinen sind auf gesund-informiert.at/gesundonline zu finden.
- Dort gibt es auch eine Übersicht an Hilfsangeboten (Beratungsstellen, Psycholog*innen) mit Expertise zum Thema Mediennutzungsstörung (inkl. Schwerpunkte) in allen steirischen Bezirken. Informiert wird auch, ob die Angebote kostenlos, teilweise erstattungsfähig oder nicht erstattungsfähig sind.
Über den Aktionsplan zum Suchtverhalten im Internet
Der Aktionsplan zum Umgang mit Suchtverhalten im Internet wurde 2024 beschlossen und wird vom Gesundheitsfonds Steiermark finanziert und von der dort ansässigen Suchtkoordinationsstelle umgesetzt. Einige der bereits umgesetzten Maßnahmen sind Elternabende; Weiterbildung für Professionist*innen aus Suchthilfe, psychosoziale Dienste und Prävention; Mitwirkung bei Veranstaltungen und Vorträgen im Jugend- und Erwachsenenbereich sowie die Schwerpunktsetzung auf Medienkompetenz im Arbeitsprogramm 2025 von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention. Neu ist nun eine Liste mit steiermarkweiten Anlaufstellen (Pool mit qualifizierten Expertinnen und Experten vor allem im niedergelassenen Bereich auf www.gesund-informiert.at/gesundonline), auch gibt es ab Herbst 2025 das Angebot für alle diese 95 Expertinnen und Experten, Fortbildungsmodule zum Thema zu absolvieren.
- Neben dem Thema Suchtgefährdung im Internet und Prävention werden ab 2026 auch vertiefende Module zu Themen wie soziale Netzwerke, Gaming und Pornografie angeboten.
- Ein weiteres Augenmerk wir künftig auf „digitale Medien in der frühen Kindheit“ gelegt. Ziel ist es, Fachpersonen und werdende Eltern mit gezielten Angeboten praxisnah zu informieren und Handlungskompetenzen im Umgang mit einer gesunden Nutzung digitaler Medien zu stärken.