Gesundheitskonferenz zum Thema Sucht und Abhängigkeit: Wenn Konsum zum Zwang wird
Bei der 18. Steirischen Gesundheitskonferenz am 7. Juni 2023 war die „goldene Mitte“ zwischen „Always online“ und „Digital Detox“ genauso Thema wie 50 Jahre Drogenberatungsstelle Steiermark. Die Expert*innen erläuterten den rund 350 Besucher*innen im Messecongress Graz, wie ein gesunder Internetkonsum gefördert und Suchterkrankungen frühzeitig verhindert werden können. Im Fokus standen dabei konkrete Maßnahmen, die in der Steiermark umgesetzt werden.
Egal ob beim Internetkonsum, beim Glücksspiel oder beim Alkohol: Die Grenze zwischen Genuss bzw. Unterhaltung und krankhafter Sucht ist fließend. Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß: „Um einen gesunden Umgang mit modernen Medien und Genussmitteln zu fördern und Süchte zu verhindern, setzen wir in der Steiermark ein breites Bündel an Maßnahmen um. Die Angebote werden dabei auch laufend weiterentwickelt, wobei uns wichtig ist, dabei möglichst bedarfsgerecht vorzugehen. Für den Bereich Internetkonsum haben wir daher als erstes Bundesland Österreichs in einer umfassenden Studie Daten erhoben, auf deren Basis nun ein Fachbeirat konkrete Maßnahmen ausarbeitet.“ Der Aktionsplan soll im ersten Quartal 2024 vorliegen.
(Fotocredit: Gesundheitsfonds/Hutter)
Sucht und Abhängigkeit verhindern
„In unserer digitalen Welt von heute ist es entscheidend, das Bewusstsein für gesunden Internetkonsum zu schärfen. Hier in der Steiermark, bemühen wir uns, effektive und bedarfsgerechte Maßnahmen zu erarbeiten, um die Grenze zwischen Nutzung und Abhängigkeit zu definieren und gesundes Online-Verhalten zu fördern“, so Klubobmann Hannes Schwarz.
Gesundheitsförderung bereits von Kindesalter an
„Die Dauerkrisen der vergangenen Jahre haben das Suchtverhalten vieler Menschen negativ beeinflusst. Umso wichtiger ist es, Betroffenen mit gezielten Hilfsangeboten unter die Arme zu greifen, dabei aber auch die Suchtprävention nicht zu vernachlässigen. Die Gesundheitsförderung der ÖGK setzt bereits in den Kindergärten und Schulen an, um Kinder quasi spielerisch für ein gesundes, suchtfreies Leben zu begeistern. Auch in Bereichen wie Ernährung und Tabakentwöhnung sowie bei der Unterstützung von Familien mit Kleinkindern in schwierigen Lebenssituationen gibt es zahlreiche Angebote“, betonen die Vorsitzenden des ÖGK-Landesstellenausschusses, Vinzenz Harrer und Josef Harb.
Versorgungsangebote für Sucht und Abhängigkeit
Michael Koren und Bernd Leinich, Geschäftsführer des Gesundheitsfonds Steiermark, verwiesen auf die bestehenden Angebote: „Die Suchthilfeeinrichtungen der Steiermark werden vom Gesundheitsfonds Steiermark koordiniert und sind die erste Anlaufstelle für Betroffene und Angehörige. Wir arbeiten laufend an der Weiterentwicklung und einer noch besseren Vernetzung im Gesamtsystem der Gesundheitsversorgung. Für die Zukunft spielen dabei unter anderem Sucht im Alter, Medikamentenabhängigkeit, Essstörungen, suchtassoziierte Internetnutzung und sozial-integrative Angebote für Suchtklientinnen und -klienten eine stärkere Rolle.“
Ein „sinnliches Leben“ als „beste Suchtprävention“
„SehnSUCHT als Archetyp der Sucht“ war der Titel des Vortrags von Michael Lehhofer. Der Ärztliche Direktor des LKH Graz II und Leiter der Abteilung für Psychiatrie u. Psychotherapie 1 beschrieb das Dopaminsystem als „neurobiologischen Endpunkt jeder Sucht, das uns Lebendigkeit und Freude vermittelt. Laut Lehofer „sehen wir uns ein Leben lang nach diesen Gefühlen, die normalerweise durch Bindung und Freiheit entstehen. Suchtmittel und süchtiges Verhalten substituieren Lebensumstände, die zu diesen neurobiologisch getriggerten Zuständen führen. Durch die Geburt bekommen wir das Leben, das wir allerdings mit Lebendigkeit füllen sollen.“ Der Experte betonte: „Die Sucht ist ein pseudolebendiger Zustand, der uns in Wahrheit genau in die Gegenrichtung führt, als erhofft. Dementsprechend ist die beste Suchtprävention ein sinnliches Leben zu führen. In einem solcherart erfüllten Leben hat Sucht keinen Platz.“
50 Jahre Drogenberatungsstelle des Landes Steiermark
Birgit Strimitzer-Riedler, Leiterin der Abteilung 8 des Landes Steiermark (Gesundheit und Pflege und Oberbehörde für den Bereich Sucht) sowie Martin Riesenhuber, Leiter der Drogenberatungsstelle des Landes gaben Einblick in die seit 50 Jahren bestehende Drogenberatungsstelle. Diese unterstützt mit einem multiprofessionellen Team bei den Themenbereichen illegale Substanzen, Nikotin, Medikamente, Essstörungen, Alkohol, Spielsucht und Internetsucht. Angeboten werden u.a. Information, Beratung, Psychotherapie, Schulungen etc. Dabei wird das Prinzip „Therapie statt Strafe“ verfolgt. Dabei handelt es sich um eine besondere Form des Strafaufschubs, die bei Verurteilungen wegen Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz oder damit zusammenhängenden Beschaffungsdelikten vorgesehen ist, wenn sich die*der Verurteilte bereit erklärt, sich einer notwendigen „gesundheitsbezogenen Maßnahme“ zu unterziehen.
Attraktive Alternativen zum Internetkonsum schaffen
Thomas Lederer Hutsteiner von x-sample Sozialforschung stellte die Ergebnisse einer steirischen Studie zum Suchtverhalten im Internet vor. Diese zeigte, dass rund ein Drittel der Schüler*innen und neun Prozent der Erwachsenen in Bezug auf ihr Internetverhalten suchtgefährdet sind. 59 Prozent der Jugendlichen nutzen ihr Smartphone auch nach Mitternacht (an zumindest einem von fünf Abenden, denen ein Schultag folgt). Bei 18 Prozent zeigen sich klinisch relevante Schlafprobleme.
Um, ergänzend zu den bestehenden Angeboten, die Versorgung noch weiter zu verbessern und konkrete Maßnahmen auf Basis der Studienergebnisse umzusetzen, wurde ein interdisziplinärer Fachbeirat gegründet, der sich bereits zweimal getroffen hat. Dabei wurden konkrete Maßnahmen erörtert – von Informations- und Sensibilisierungskampagnen und niederschwellige Beratungsangebote wie „Online-Streetwork“ bis hin zum Attraktivieren von „nicht-digitalen Freizeitmöglichkeiten“. Jugendliche sollen in Wohnortnähe attraktive Möglichkeiten haben, um sich entfalten zu können – und damit eine Alternative zum (zu) hohen Internetkonsum.
Mit Wecker und Uhr gegen die digitale Reizüberflutung
Der schwierigen Suche nach der „goldene Mitte“ zwischen „Always online“ und „Digital Detox“ widmete sich bei der Gesundheitskonferenz Oliver Scheibenbogen, Klinischer Psychologe und Gesundheitspsychologe. Der Leiter der Klinischen Psychologie am Anton-Proksch-Institut Wien erläuterte konkrete Beispiele für einen gesunden Umgang mit der R2izüberflutung. „Die große Schwierigkeit ist, dass ich jederzeit online sein kann. Es geht daher ganz stark um die eigenen Kompetenzen im Umgang mit den Geräten.“ Sehr wichtige Hilfsmittel dabei können ein analoger Wecker und eine Uhr sein. „Wenn ich das Handy benutze, um auf die Uhr zu sehen, sehe ich gleichzeitig die vielen Benachrichtigungen für neue Nachrichten auf sozialen Medien, E-Mails etc. Das schafft einen unheimlichen Druck, die Nachrichten auch zu lesen. Wenn ich das Handy gar nicht benötige, um auf die Uhr zu sehen, entgehe ich diesem Druck.“ Wichtig sei auch, sich selbst bewusste „Digital Detox“-Zeiten einzuplanen und seine E-Mails nur zu klar definierten Zeiten abzurufen – nicht permanent.
Jugendliche benötigen (Sozial-)Kompetenzen für das „Offline-Leben“
Gerade für Jugendliche spiele eine große Rolle, ob sie Kompetenzen wie z. B. das Knüpfen neuer Freundschaften im realen Leben gelernt haben. „Dann kann das digitale Pendant, also etwa die Vernetzung über Instagram oder TikTok, eine Ergänzung sein. Gefährlich wird es dann, wenn Jugendliche im realen Leben aber gar nie gelernt haben, Freundschaften zu schließen“, warnte Scheibenbogen. Bei Erwachsenen sei es weniger ein Problem, wenn sie mehr Freunde auf sozialen Plattformen wie Facebook haben, als im realen Leben – Erwachsene schicken Freundschaftsanfragen meist nur an Personen, die sie auch real kennen. Bei Jugendlichen ist es aber umgekehrt, deshalb kann eine deutlich höhere Anzahl an Kontakten auf sozialen Plattformen als im realen Leben ein Warnsignal sein. Gerade für Eltern sei es auch wichtig zu wissen, dass ein Gehirn eines Kindes Reizen nicht widerstehen kann – das Frontalhirn ist dazu noch nicht in der Lage. Die WHO empfiehlt daher für Kinder unter zehn Jahren auch maximal eine Stunde Medienkonsum pro Tag (inkl. Radio und Fernsehen).
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