Richtig oder falsch? Vorurteile über gesundes Essen in der Gemeinschaftsverpflegung im Reality-Check

Diätologin Doris Hiller-Baumgartner begleitet im Rahmen von GEMEINSAM G’SUND GENIESSEN Betriebe bei der Umsetzung der steirischen Mindeststandards in der Gemeinschaftsverpflegung. Die Expertin mit 25 Jahren Erfahrung über Vorurteile von „teurem gesunden Essen“ bis hin zu „Grünzeug, das keinem schmeckt“. Und die konkrete Umsetzung eines Speiseplans zwischen Gesundheit und Genuss in Wohn- und Pflegeheimen, auf dem sie derzeit die Caritas Steiermark begleitet. Diese entwickelt in allen steirischen Pflegewohnhäusern das Verpflegungsangebot weiter.

1. Salat und „Grünzeugs“ statt deftiger Hausmannskost – das schmeckt doch keinem (älteren) Menschen!?

Es geht auch gar nicht darum, den Menschen in erster Linie „Grünzeug“ zu servieren. Eine der wichtigsten Grundsätze beim Essensangebot in Wohn- und Pflegeheimen ist für Doris Hiller-Baumgartner: Autonomie und Selbstbestimmung, d. h. nicht bevormunden. Den Bewohner*innen werden Speisen und Getränke nicht „aufgezwungen“, sondern angeboten. Die Basis soll ein Speiseplan mit Gerichten sein, der in der Praxis funktioniert, d. h. den Geschmack der Bewohnerinnen und Bewohnern bestmöglich trifft und ernährungswissenschaftlich vertretbar ist. Wie man das schafft? Die steirischen Mindeststandards geben hier einen Rahmen vor, der in der Praxis erprobt und auch umsetzbar ist:

  • Pro Menülinie mind. 3 bis 4 x wöchentlich ein vegetarisches Gericht (1 x davon eine Süßspeise mit Obstanteil),
  • max. 3 bis 4 x ein Gericht mit Fleisch (davon 2 x mit geringerem Fleischanteil das bedeutet < 80 g pro Portion),
  • mind. 2 x pro Monat Fisch – heimischer sollte bevorzugt werden und
  • bei jedem Mittagsmenü mind. eine Portion Gemüse zusätzlich zum allfällig angebotenen Salat.

Entscheidend ist die Menge beim Fleisch

Hiller-Baumgartner erläutert den Weg dorthin: „Wir schauen uns am Anfang an, welche Gerichte gerne gegessen werden, welche Speisen in der Region üblich waren bzw. sind (Sterz ist nicht gleich Sterz) und wie der Speiseplan zurzeit aufgebaut ist. Davon ausgehend werden weitere Gerichte angedacht wie z. B. ein Krautstrudel oder auch diverse Erdäpfel-Gemüseknödel. Gerne auch mit ein bisschen Speck. Entscheidend beim Fleisch ist immer die Menge. Wenn ich zum Beispiel eine Linsensauce mit Speck und Knödel mache, habe ich je nach Rezeptur um 50 bis 70 Prozent weniger Fleischanteil als bei einem Geselchten mit Kraut und Knödel.

Musterspeisepläne bieten Ideen

Und natürlich geht es auch darum, die Speisen an die Zielgruppe anzupassen. In einer Berufsschulkantine passen Tomate und Salat im Burger sicher besser als Gemüseanteil als in einem Pflegeheim. Dort wird das Kraut in den Krautfleckerln oder eine eing‘machte Gemüsesuppe mit Bohnscharl vor den Zwetschkenknödeln eher den Geschmack der Bewohner*innen treffen. Zu berücksichtigen ist u. a. auch, dass ältere und alte Menschen häufig eine eingeschränkte Speichelbildung haben – dies solle unter vielen anderen Aspekten ebenfalls bei der Speisenzusammenstellung bedacht werden. Viele Ideen bieten auch die Musterspeisepläne von GEMEINSAM G’SUND GENIESSEN.

Die Caritas Steiermark hat unter anderem die Verpflegung in den Wohnhäusern Wies, St. Lambrecht und Fernitz weiterentwickelt.
© Caritas Steiermark

2. Gesundes Essen und die Verwendung von Bioprodukten ist viel zu teuer!?

Stimmt in Summe betrachtet definitiv nicht. Ein großer Kostenfaktor ist das Fleisch. „Wenn ich pro Woche mit zwei Menülinien von 14 Essen 12-mal ein Fleischgericht koche, muss ich höchstwahrscheinlich zum billigsten Fleisch, zumeist aus dem Ausland, greifen“, bringt es Hiller-Baumgartner auf den Punkt. „Wenn ich den Fleischanteil reduziere, kann ich mir zu denselben oder sogar geringeren Kosten ein deutlich besseres Fleisch unter Berücksichtigung eines bestmöglichen Tierwohls leisten. Auch saisonales Bio-Gemüse oder Milchprodukte vom Bauern aus der Umgebung sind oft deutlich günstiger, als man vermuten mag.“

Peter Loder-Taucher, Hausleiter in Fernitz und selbst gelernter Koch: „Es geht uns beim Einkaufen um Qualität. Natürlich heißt das auch Bio. Aber nicht um jeden Preis. Ein regionaler Apfel aus konventionellem Anbau ist mir lieber als ein Bio-Apfel aus Italien.“

Essen kann zur Lebensfreude beitragen

„Sparen um jeden Preis“ sei beim Essen auch ein sehr bedenklicher Ansatz, ist Hiller-Baumgartner überzeugt. „Natürlich kannst du als Heimbetreiberin und Heimbetreiber sowohl beim Lebensmittel- und Getränkeeinkauf als auch beim Personaleinsatz viel Geld sparen. Aber gerade bei älteren und alten Menschen, wo gutes Essen und Trinken so viel zur Lebensfreude beitragen kann, sollte diese Wertigkeit eine Grundvoraussetzung sein“, steht für Hiller-Baumgartner außer Frage.

Benefits für Bewohner*innen und Mitarbeiter*innen

Viktoria Trois von den Caritas Pflegewohnhäusern bestätigt: „Uns ist wertvolles Essen sehr wichtig und wir merken auch, dass es den Bewohnerinnen und Bewohnern dadurch besser geht. Daher haben wir in unserer neuen Strategie auch festgelegt, dass alle unsere Häuser nach den steirischen Mindeststandards kochen und leben. In elf haben wir das größtenteils schon umgesetzt, die restlichen folgen in den nächsten Monaten. Wir merken deutlich, dass es den Bewohnerinnen und Bewohnern besser geht, wenn wertvoll gekocht wird.“ Und auch den Mitarbeiter*innen schmeckt es. Peter Loder-Taucher, Hausleiter in Fernitz und selbst gelernter Koch: „Früher hat oft nur die Hälfte des Teams bei uns im Haus zu Mittag gegessen. Mittlerweile nutzen das Angebot fast alle, weil es einfach besser schmeckt.“

3. Vegetarische Gerichte werden gerade bei älteren Menschen nicht akzeptiert!?

Oft sind es gerade die „Gerichte von früher“, die ausgewogener sind, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Vor Jahrzehnten wurde tendenziell weniger Fleisch gegessen als heute. Gerade ältere und alte Menschen haben in ihren jungen Jahren häufig viele Sterz-, Kraut- und Kartoffelgerichte, dafür aber nur ein- oder zweimal in der Woche Fleisch gegessen. Die Herausforderung für die Küche in Pflegeheimen ist hier „nur“, die „Gerichte von damals“ so hinzubekommen, dass sie auch wirklich „wie damals“ schmecken. „Niemandem soll Fleisch vorenthalten werden, doch fleischlose Gerichte sollten eine wunderbare, herrlich schmeckende Alternative sein“, so Doris Hiller-Baumgartner. Sie unterstützt im Rahmen des Förderungsprogramms hier mit Rezepten und vor allem 25 Jahren Praxiserfahrung.

4. In der Gemeinschaftsverpflegung muss schnell und rationell gearbeitet werden. Das lässt sich mit gesunder Küche nicht verbinden!?

Stimmt nicht, betont Hiller-Baumgartner. „Es geht immer ums Wollen und Können.“ Das Können lässt sich erlernen, etwa im Rahmen des GEMEINSAM G’SUND GENIESSEN-Förderungsprogramms. Natürlich braucht es aber auch ein motiviertes Team. „Ich finde es immer wieder schön zu sehen, wie sich Dinge entwickeln und wachsen. In einem Haus, in dem früher Haltbarmilch verwendet wurde, weil sie nicht gekühlt werden muss, wird nun die Milch direkt vom Bauern aus der unmittelbaren Nachbarschaft verwendet. Es hat sich durch Zufall gezeigt, dass es eigentlich doch eine Kühlmöglichkeit im Haus gibt.“ Dies ist nur ein kleines Beispiel. Es zeigt jedoch, dass immer ein Ansatz des Essens und Trinkens von anno dazumal möglich ist. Es ist eine Frage des Könnens und des Wollens.

Förderungen für gesundes Essen in der Gemeinschaftsverpflegung

Die steirischen Caritas-Pflegeheime werden im Zuge der Initiative GEMEINSAM G‘SUND GENIESSEN durch den Gesundheitsfonds Steiermark, Fach- und Koordinationsstelle Ernährung, gefördert (mehr über die Umsetzung in den Caritas-Pflegeheimen …). Schon über 240 Einrichtungen haben aktuell diese Förderungsmöglichkeit genutzt. Haben auch Sie Interesse an einer Förderung?

Möchten Sie noch mehr über Mythen im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung erfahren?
Lesen Sie in unserer Broschüre „So werden vegetarische Gerichte zum Erfolg“ die gängigsten Vorurteile

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