Patient*innensicherheit und Risiken
Im Fokus der IPS-Jahrestagung am 28. September 2022 stand die Wahrnehmung der Patient*innensicherheit durch Öffentlichkeit, Medien und Health Professionals. Auch Qualitätsmanagement und Mitarbeiter*innenzufriedenheit waren zentrale Themen.
Eröffnet wurde die Veranstaltung der Initiative für Patient*innensicherheit von Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß und Johannes Koinig vom Gesundheitsfonds Steiermark.
In den Impulsreferaten war die Risikokommunikation, der Wert evidenzbasierter Medizin, die Digitalisierung und Datensintflut ebenso Thema wie die Gesundheitskompetenz, eine OP-Checkliste als mobile App, Stressmanagement, die Messung der Patient*innensicherheitskultur und die journalistische Sicht auf all diese Aspekte (mehr dazu in den Abstracts – Download-Links siehe unten). Als Vorsitzender der Qualitätssicherungskommission Steiermark verlieh Johannes Koinig im Zuge der Veranstaltung im Congress Graz die IPS-Auszeichnungen.
Patient*innensicherheit in steirischen Spitälern
Dass Kommunikation eine der wesentlichsten Komponenten für Patient*innensicherheit ist, wurde im IPS-Beitrag von Magdalena Hoffmann (Gesundheitswissenschaftlerin, LKH-Univ.-Klinikum Graz und Medizinische Universität Graz) klar. Sie erläuterte mögliche Verständnisprobleme bei ärztlichen Entlassungsbriefen und stellte dar, wie man mit guter Gesundheitsinformation die Patient*innensicherheit erhöhen kann. Wie dahingehend die Gesundheitskompetenz gestärkt wird, zeigen ihre aktuellen Forschungsergebnisse.
Digitale OP-Checkliste erhöht Prozessqualität
„Die digitale OP-Checkliste ist ein Mehrwert, die gemeinsam mit Anwender*innen entwickelt wurde“, erklärte Barbara Wagner (Abteilungsvorständin der Abteilung für Anästhesiologie und Intensivmedizin am LKH Weststeiermark) in ihrem IPS-Beitrag. Fehlerreduktion, höhere Prozessqualität und Arbeitserleichterung bilden diesen Mehrwert ab. Mithilfe einer innovativen Prozessdigitalisierung arbeitet sie mit einem interdisziplinären Team an der Implementierung der digitalen OP-Checkliste und der Integration in das KIS (Krankenhausinformationssystem) der Steiermärkischen Krankenanstaltengesellschaft m.b.H.
Kolleg*innen für Kolleg*innen
Tamara Johne brachte die Mitarbeiter*innenfürsorge in den Mittelpunkt. Kritische Erlebnisse (etwa Todesfälle von Patient*innen) gehören zum Krankenhausalltag, sind aber auch eine enorme Belastung für das Personal. Wie Kolleg*innen untereinander mit Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention geholfen werden kann und wie sich diese Unterstützung auf die Kolleg*innen auswirkt, zeigte Johne gemeinsam mit ihrer Kollegin Sandra Möstl.
Qualitätsmanagement als laufender Prozess
„Wenn ich aufhöre um Qualität zu kämpfen, geht sie zurück.“ Gerd Antes (Cochrane Deutschland, Universitätsklinikum Freiburg) brachte in der Podiumsdiskussion der IPS-Jahrestagung auf den Punkt, dass Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen ein laufender Prozess ist. „Es hat sich in Vergangenheit bereits einiges verbessert, aber der Weg ist noch lang.“ Guido Offermanns (Universität Klagenfurt und Karl Landsteiner Gesellschaft) zeichnete ein positiveres Bild: „Wir sind schon am richtigen Weg. Man muss vor allem wertschätzen, was das Personal in den letzten Jahren geleistet hat. Und es sind mit Energiekrise und Personalmangel ja bereits die nächsten großen Herausforderungen da.“ Um den Personalmangel zu bekämpfen, brauche es aus Sicht von Offermanns „Magnetspitäler, die auch gute Bedingungen für das Personal bieten. Das Engagement der Menschen in den Gesundheitsberufen muss besser gewürdigt werden“.
Mitarbeiter*innen- und Patient*innensicherheit
Für den Journalisten Johannes Tandl besteht ein enger Zusammenhang zwischen Mitarbeiter*innen- und Patient*innensicherheit, wie er in der Podiumsdiskussion betonte. Je zufriedener die Mitarbeiter*innen, desto höher auch die Patient*innensicherheit. Offermanns verwies auf Studien, die diese Korrelation bestätigen. „In Operationssälen und Intensivstationen mit einem guten Teamgefüge gibt es weniger Komplikationen als in Bereichen, in denen ein autoritärer Führungsstil vorherrscht. Das zeigt deutlich die große Verantwortung der Führungskräfte.“
Qualitätsmanagement darf nicht zum Selbstzweck werden
Tandl sprach sich auch dafür aus, die Krankenhausfinanzierung stärker an Qualitätsparameter zu knüpfen. „In der Privatwirtschaft sind Zertifizierungen und Qualitätsmanagement schon lange Standard, das ist meiner Wahrnehmung nach in Krankenhäusern noch nicht so.“ Offermanns betonte in diesem Zusammenhang, dass Wirtschaft und Gesundheitswesen nicht vergleichbar sind. „Deutsche Krankenversicherer haben ja bereits den Ansatz verfolgt, die Finanzierung an Zertifizierungen zu knüpfen. Wenn das dann aber dazu führt, dass die Spitäler unter Druck gesetzt werden, ein entsprechendes Zertifikat zu bekommen, sich an der Qualität aber nichts ändert, geht das am Ziel grob vorbei. Es gibt in der Medizin ja per se ein Qualitätsverständnis und auch den Willen, gute Qualität zu erbringen. Die Herausforderung liegt eher darin, dass sich das Qualitätsverständnis von Berufsgruppe zu Berufsgruppe unterscheidet und daher auf die Bedürfnisse der Patient*innen abgestimmt werden müssen. Hieran muss gemeinsam aktiv gearbeitet werden. Die Messung der Ergebnisse von Initiativen und Projekten ist ganz zentral, damit die Arbeit im Bereich Qualitätsmanagement und Patient*innensicherheit entsprechende Legitimation gegenüber den verschiedenen Anspruchsgruppen finden kann.“
„Nüchterne Analyse“ und „kulturelle Probleme“
Mathematiker und Medizinstatistiker Antes ortet großes Potenzial bei der Fehleranalyse. „In den Corona-Jahren waren viele Mängel ja offensichtlich. Es muss nun ohne Schuldzuweisungen erfasst werden, was schiefgelaufen ist, um gezielt anzusetzen und zu verbessern.“ Neben dieser „nüchternen Analyse“ brauche es aber auch einen Fokus auf „weiche Faktoren“, wie etwa die Würdigung der Arbeit der Pflegekräfte. „Es geht nicht nur um Geld. Die Pflegekräfte haben bei uns einen ganz anderen Status als etwa in Holland oder Skandinavien. Dort sind sie in der Hierarchie auf einer Ebene mit den Ärztinnen und Ärzten, das ist bei uns ja ganz anders. Und das ist ein kulturelles Problem.“
Prozesse neu denken
Offermanns brachte in die Podiumsdiskussion die Perspektive der Patient*innen ein. „Im Gesundheitssystem werden die Patientinnen und Patienten noch zu wenig gehört. Wir sollten das System viel besser auf die Bedürfnisse von chronisch kranken Menschen ausrichten und dazu müssen wir viel mehr mit ihnen kommunizieren. Diese ewig lange bestehende Trennung zwischen ambulant und stationär gehört dringend geändert, um eine nachhaltige Entwicklung auszulösen. Die Prozesse müssen aus der Perspektive der Patient*innen neu gedacht werden, da haben wir viel Verbesserungspotenzial. So könnte die Qualität verbessert und die Kosten gesenkt werden.“
Professionelle Öffentlichkeitsarbeit
Journalist Tandl sprach sich dafür aus, Qualitätsmanagement bereits in der Ausbildung des medizinischen Personals zum Thema zu machen. „Das ist einfach eine Sache von Skills, die Grundsätze des Qualitätsmanagements muss das Personal verinnerlichen.“ Bedarf an Professionalisierung ortete der Journalist auch in Sachen Öffentlichkeitsarbeit. „Corona war ja ein Gamechanger beim journalistischen Umgang mit Patientensicherheit. Umso wichtiger ist eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit der Krankenhäuser, die die Angst nimmt und das Vertrauen ins Gesundheitssystem wiederherstellt.“
(Fotocredit: Gesundheitsfonds/Hutter)