Patient*innensicherheit: Herausforderungen erkennen und annehmen
Unter diesem Motto fand am 29. September 2021 die IPS-Jahrestagung in der Alten Universität Graz statt. Eines der Themen war dabei die digitale Disruption.
Eröffnet wurde die Veranstaltung der Initiative für Patient*innensicherheit von Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß, ÖGK-Landesstellenauschussvorsitzenden Josef Harb und Johannes Koinig vom Gesundheitsfonds Steiermark.
„Dank eines aktiven Gesundheitsfonds leisten wir in der Steiermark seit mehr als zehn Jahren einen wertvollen Beitrag zur nachhaltigen Verankerung der Patientensicherheit. Die Vernetzung der Gesundheitseinrichtungen und Weiterbildung, etwa im Rahmen der IPS-Jahrestagung, sind wichtige Maßnahmen dazu, stellen sich doch laufend neue Herausforderungen für die Patientensicherheit – etwa durch die Digitalisierung“, so Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß.
Eröffnet wurde die Jahrestagung vor Patient*innensicherheit von Landesrätin Juliane Bogner-Strauß (Credit: Hutter)
Patient*innensicherheit: ”It‘s not bad people, it‘s bad systems”
Dieter Conen von der Stiftung Patientensicherheit Schweiz ging in seiner Keynote auf den Status quo und die Zukunft der Patient*innensicherheit ein. „Die Patientensicherheitsbewegung befindet sich aktuell in einer kritischen Phase.“ Um die Jahrtausendwende konnten die Mediziner*innen noch als „Verbündete“ gewonnen werden, weil zunehmend die Systemfrage in den Fokus rückte – ”it‘s not bad people, it‘s bad systems”. In den letzten Jahren zeigt sich hingegen zunehmend wieder Ernüchterung, da eine „Wust neuer Initiativen“ auf die Professionals zukommt. Conen nannte als Beispiele:
- das Implementieren von Checklisten und das Erlernen des korrekten Umgangs mit diesen
- das „Überleben“ der Installationen neuer IT-Systeme
- das Akzeptieren von Patient*innen als aufgeklärte, gleichberechtigte Partner*innen und Kotherapeut*innen
- die Forderung nach einem wirtschaftlichen „Verhalten“, was knapper werdende Margen gleichberechtigt neben medizinischen Aspekten bei klinischen Entscheidungen zu berücksichtigen hat
Digitale Disruption im Gesundheitsbereich
Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Podiumsdiskussion, in der die digitale Disruption und ihre Auswirkungen auf Organisationen im Gesundheitsbereich im Fokus standen.
„Der Druck der Veränderung ist permanent gegeben – allein schon aufgrund der Umgebungsbedingungen“, stand für Gerhard Stark, Ärztlicher Direktor der Österreichischen Ordensprovinz der Barmherzigen Brüder außer Frage. „Einerseits müssen wir uns dessen bewusst sein, dass wir die Menschen mit medizinischen Leistungen im normalen Leben begleiten. Wir haben nicht das Recht, ihnen Zeit zu stehlen – etwa durch verlängerte Aufenthaltszeiten in Krankenhäusern. Es geht heute längst nicht mehr darum, möglichst viele Betten oder möglichst viele Leistungen zu bieten, sondern die Leistung möglichst effizient zu den Menschen zu bringen. Und das in der Qualität, die notwendig ist mit einem Aufwand, der dafür sinnvoll ist. Natürlich braucht es dazu auch Menschen mit entsprechenden Ausbildungen und da haben wir einen Mangel. Durch mehr Ausbildung können wir diesen aber nicht mehr lösen. Es sind schlichtweg zu wenige junge Menschen da, wenn sukzessive die ganze Babyboomer-Generation wegfällt. Der Fachkräftemangel besteht daher ja auch in vielen anderen Bereichen.“
Die digitale Disruption stand im Fokus der Podiumsdiskussion (Credit: Hutter).
Wie bringen wir die Medizin zum Menschen, wenn das Personal fehlt?
Für Conen ist der Mangel an qualifiziertem Personal ein weiterer Grund, sich mit neuen Versorgungs- und Behandlungsmethoden, die die Digitalisierung bietet, zu beschäftigen. „Wenn wir die Stellen nicht besetzen können, müssen wir darüber nachdenken, ob ‚die Hüllen‘, in der wir die Medizin momentan zum Menschen bringen, noch die richtigen sind.“
„Wir haben es selbst in der Hand“
Josef Harb, steirischer Landesstellenausschuss-Vorsitzender der Österreichischen Gesundheitskasse, ortet Handlungsbedarf in einem weiteren Bereich: bei der Schärfung des Bewusstseins der Steirer*innen für ihre eigene Gesundheit. „Für die Gesundheit ist nicht ‚nur‘ der Arzt oder die Ärztin verantwortlich. Der Mensch hat es zu einem hohen Prozentsatz selbst in der Hand, in welche Richtung das Pendel ausschlägt. Gesundheit bildet die Voraussetzung für ein erfülltes, genussvolles Leben – im Idealfall bis ins hohe Alter. Es braucht mehr Selbstverantwortung und Gesundheitskompetenz, um die Anzahl der gesunden Lebensjahre zu erhöhen – und natürlich auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür.“
„IT-Lösungen für Probleme, die man eigentlich erst suchen muss“
Auf die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten in Institutionen ging Markus Mair, CEO der Styria Media Group, ein. „Bei digitalen Lösungen ist essentiell, dass sie sicher und einfach bedienbar sind – sie müssen den Menschen einen Mehrwert bieten. Das funktioniert nur, wenn in der Umsetzung nicht nur Softwareentwicklerinnen und Softwareentwickler involviert sind, sondern auch Menschen, die die Prozesse verstehen und sich klar überlegen, wie läuft der Prozess.“
„Das ist ein entscheidender Punkt“, bestätigte Mediziner und IT-Experte Stark. „Wenn mir jemand einen Vorschlag für ein neues IT-Projekt macht, ist eine meiner ersten Fragen jene nach dem Prozess, in dem das Ganze eingebettet werden soll. Wie wird der Prozess durch die Digitalisierung verbessert? Welche Ressourcen sind dazu erforderlich? Und ganz entscheidend: Welchen Substitutionseffekt bietet die Digitalisierung? Es wird durch Digitalisierung leider sehr viel Addition geschaffen und viele Lösungen für Probleme, die man eigentlich erst suchen muss. Mit einem IT-Controlling versuchen wir hier, entgegenzuwirken.“
Widerstände gegen die digitale Disruption mitdenken
Conen verwies auf die Besonderheiten des Medizinmarktes, der ein regulierter Markt mit vielen Eigeninteressen ist. Auch sei zu berücksichtigen, dass die digitale Disruption zu vermeintlichen Verlusten führt. „Eigentlich muss ich ja erst etwas ‚zerstören‘, um Platz für Innovation zu haben. Und das führt natürlich zu Widerstand, der oft mit Datenschutz begründet wird – das muss ich auf jeden Fall mitdenken.“
Ein Beschleuniger für Digitalisierungsprojekte – etwa in der Telemedizin – war gewissermaßen die Corona-Krise, zeigte sich Harb überzeugt. Derzeit werden in der Steiermark zahlreiche Digitalisierungsprojekte umgesetzt – die technischen Möglichkeiten dazu seien längst vorhanden. Dabei müsse man gar nicht immer an hochkomplexe Systeme denken. „Auch das Telefon kann ein probates Mittel sein, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern und Erstabklärungen durchzuführen, wie das Gesundheitstelefon 1450 gut zeigt.“