Darüber reden statt wegschauen: Lebensnahe Suchtprävention für Jugendliche
Egal ob es um Drogenkonsum, Essstörungen oder eine andere Thematik geht: Suchtverhalten unter Jugendlichen darf kein Tabu sein. Es braucht laufende Präventionsarbeit und eine professionelle Reaktion, wenn das Thema akut wird. Für steirische Schulen gibt es ein breites Unterstützungsangebot, das nun um ein neues Workshop-Programm erweitert wird. Mit „Lebensnahe PräventionsArbeit plus“ werden Jugendliche in einem geschützten Rahmen mit ihren aktuellen Wünschen, Fragen und Herausforderungen abgeholt. Die erste Schule steiermarkweit, die das Programm umsetzt, ist das BG/BRG Kirchengasse in Graz.
Dass die Corona-Pandemie gerade für Jugendliche eine große psychische Belastung ist, wurde in den letzten Monaten mehrfach durch Studien und Erfahrungen in der Praxis bestätigt. Auch wirkt sich die Pandemie negativ auf das Suchtverhalten aus – die Grenze zwischen wohltuender Ablenkung vom Alltag und krankhafter Sucht ist fließend. „Um Warnsignale bei Jugendlichen möglichst frühzeitig zu erkennen, spielt das Umfeld eine entscheidende Rolle. Wir setzen daher auf ein breites Bündel an Maßnahmen an den Schulen und in Jugendeinrichtungen – von der Prävention und der Sensibilisierung bis hin zur Begleitung in akuten Anlassfällen. Das Angebot wird auch laufend weiterentwickelt, etwa um das Pilotprojekt ‚Lebensweltnahe PräventionsArbeit plus‘“, verweist Gesundheitslandesrätin Juliane Bogner-Strauß auf das neue Workshop-Angebot, das von der Caritas Steiermark umgesetzt und vom Gesundheitsfonds Steiermark finanziert wird.
Aufklärungsarbeit als wichtiger Teil der Suchtprävention für Jugendliche
„Der Kampf gegen eine Sucht beginnt nicht erst mit ihrem Ausbrechen. Präventionsarbeit beugt effektiv Abhängigkeiten vor, bevor sie überhaupt erst entstehen. Speziell ausgebildete Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner informieren und beraten die jungen Menschen in den Schulen über Suchtverhalten und süchtigmachende Substanzen. Auf diese Weise kann ein für das Alter angemessener Diskurs über Suchtprozesse und deren Verhinderung geführt werden. Über diese Aufklärungsarbeit werden Ängste abgebaut und der bei Jugendlichen oftmals verbreitete Reiz, verbotene Substanzen ausprobieren zu wollen, aktiv vorgebeugt. Ich möchte allen Beteiligten sehr herzlich für die Entwicklung des Projekts Lebensnahe PräventionsArbeit plus danken“, hält Bildungsdirektorin Elisabeth Meixner fest.
Lebensnahes Workshop-Angebot – individuell an die jeweilige Gruppe angepasst
Jugendliche brauchen für sensible Themen, zu denen auch die Suchtproblematik gehört, erwachsene Ansprechpartner*innen, die ihnen auf Augenhöhe begegnen. „Die Erfahrungen zeigen, dass Jugendliche in einem geschützten Raum mit einer externen Person viel offener ihre Fragen und bereits bestehende Probleme ansprechen, als sie es etwa vor ihren Eltern oder im regulären Schulunterricht tun würden. Genau hier setzt das neue Workshop-Angebot ‚Lebensnahe PräventionsArbeit plus‘ – kurz ‚LPAplus‘ an“, beschreibt LPAplus-Projektleiter Stefan Pree von der Caritas Steiermark das Pilotprojekt, das sich an Jugendliche ab 14 Jahren richtet. „Gemeinsam mit den Jugendlichen kläre ich die für sie relevanten Fragen und sensibilisiere für den meist schleichenden Prozess der Suchterkrankung. Der Inhalt wird dabei immer individuell mit der jeweiligen Gruppe abgestimmt und es ist ganz wichtig, dass die Jugendlichen sich offen unterhalten dürfen“, so der Sozialarbeiter, der bereits 20 Jahre Erfahrung in der Jugend- und Suchtarbeit mitbringt.
Alternativen zum Suchtverhalten
„Die Jugendlichen lernen in den mindestens drei- bis vierstündigen Workshops, was ihnen guttut, wenn es ihnen schlecht geht – und damit Alternativen zum Suchtverhalten.“ Auch über die Workshops hinaus steht Stefan Pree als Ansprechpartner für die Jugendlichen zur Verfügung, „etwa für Fragen, die man sich vor den anderen Jugendlichen nicht zu stellen traut oder wenn der Schritt in eine entsprechende Beratungsstelle alleine schwer fällt“, verweist Pree auf die Kooperation mit den anderen Präventions- und Versorgungsangeboten.
Nach dem erfolgreichen Start ist nun geplant, das Workshop-Angebot zur Suchtprävention für Jugendliche in der gesamten Steiermark an allen Schulen der Sekundarstufe – in Kooperation und Abstimmung mit der Bildungsdirektion Steiermark – auszurollen. Neben den Schulen sollen auch Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, der Kinder- und Jugendarbeit sowie Berufsschulen und Großbetriebe mit einer entsprechenden Anzahl von Lehrlingen mitbedacht werden.
Ergänzung zu bestehenden Programmen
Die ersten LPAplus-Workshops wurden im Jänner 2022 am BG/BRG Kirchengasse durchgeführt. Dazu Direktorin Daniela Kober: „Es gab bei uns im letzten Herbst anonyme Hinweise auf eine angebliche Drogenproblematik. Ich wollte das von Anfang an nicht unter den Teppich kehren – man muss sich dem Thema stellen und sichtbare Zeichen setzen. Das Workshop-Programm LPAplus war hier das genau richtige Angebot, weil sehr niederschwellig mit den Jugendlichen gearbeitet wird und sie aktuelle Themen einbringen können. Das haben wir dann auch umgesetzt und es war auch eine sehr gute Ergänzung zu den Präventions-Workshops, die wir in jedem Jahr mit VIDID machen. Uns ist es ganz wichtig, dass das Thema Sucht offen angesprochen wird, nur dann kann man es vernünftig bearbeiten“, verweist die Schulleiterin auf die Präventionsarbeit auf unterschiedlichen Ebenen.
Wegschauen und stigmatisieren vergrößert das Problem
Das neue Angebot ergänzt die bereits gut etablierten Angebote von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention. VIVID ist vom Gesundheitsressort des Landes Steiermark und dem Gesundheitsfonds Steiermark beauftragt. VIVID-Geschäftsführerin Claudia Kahr erläutert: „Es gibt wohl keine Schule in der Steiermark, in der psychoaktive Substanzen keine Rolle spielen. Die Frage ist: Reagiert eine Schule professionell mit einem Unterstützungsangebot und Präventionsmaßnahmen oder schaut sie weg und ‚beseitigt‘ betroffene Schülerinnen und Schüler und das Problem möglichst unbemerkt? Wegschauen vergrößert das Problem und das Tabu.“ Seit bald 25 Jahren setzt VIVID – Fachstelle für Suchtprävention Vorträge, Seminare und Lehrgänge in Schulen, Jugendeinrichtungen und Betrieben um. Diese richten sich sowohl an Bezugspersonen als auch an die Jugendlichen selbst. „Um mit dem ‚Tabu Sucht‘ zu brechen, fördern wir den offenen und sachlichen Austausch durch altersadäquate Sachinformation. Dabei wollen wir weder verharmlosen noch abschrecken“, ergänzt Kahr.
In den VIVID-Angeboten, die allen Schulen steiermarkweit und kostenlos zur Verfügung stehen, geht es vordergründig nicht nur um das Thema Sucht. „Im Fokus steht die Förderung von sozialen und persönlichen Fähigkeiten, die jungen Menschen helfen, mit Krisen und Problemen umzugehen. Diese Fähigkeiten reduzieren das Suchtrisiko. Das zeigen verschiedene Präventionsprogramme an Schulen, die seit vielen Jahren umgesetzt werden. Als suchtpräventiver ‚Nebeneffekt‘ verbessern sich nachhaltig das Klassenklima und die schulischen Leistungen“, verweist Kahr auf Evaluierungsergebnisse.
Enge Abstimmung aller Angebote zur Suchtprävention für Jugendliche
Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Kooperation zwischen den unterschiedlichen Einrichtungen und Angeboten. Der Fokus von VIVID – Fachstelle für Suchtprävention liegt auf der Prävention. Ist bereits problematischer Suchtmittelkonsum gegeben, wird an Suchthilfeeinrichtungen weiterverwiesen, die Betroffenen und deren Umfeld anonym und kostenlos Beratung bieten. „Als Gesundheitsfonds Steiermark, der die Aufgaben der Suchtkoordination 2019 vom Land Steiermark übernommen hat, planen und koordinieren wir die Suchthilfe in unserem Bundesland. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Vernetzung der Einrichtungen und psychosozialen Dienste – durch eine möglichst gute Abstimmung wird eine hohe Versorgungsqualität gewährleistet“, sagt Johannes Koinig, stellvertretender Geschäftsführer des Gesundheitsfonds Steiermark.
Laufende Anpassung der Angebote
„Sucht hat viele Gesichter. Medikamente, Tabak und Alkohol können ebenso Suchtmittel sein wie illegalisierte Substanzen und Verhaltensweisen wie z. B. Essstörungen und internetassoziiertes Suchtverhalten. Wir beobachten in unserer Funktion als Suchtkoordination laufend die Entwicklungen im Suchtgeschehen und passen die Angebote dementsprechend an“, so Juliane Cichy, Suchtkoordinatorin des Landes Steiermark, die dabei auf aktuelle Erhebungen wie den Suchtbericht 2021 verweist.
v. l. Stefan Pree (Caritas Steiermark), Daniela Kober (Direktorin BG/BRG Kirchengasse), Juliane Bogner-Strauß (Gesundheitslandesrätin), Elisabeth Meixner (Bildungsdirektorin), Claudia Kahr (VIVID)
Credit: Gesundheitsfonds/Hutter